Heute gibt es Secondhand-Literatur. Martin Tschepe, ansonsten Redakteur bei der Stuttgarter Zeitung, hat sein Sabbathalbjahr angefangen und verwirklicht seinen alten Traum, aus dem Schwabenland nach Sylt zu radeln, in seine zweite Halbheimat (mit diesen Migranten kennt man sich einfach nicht aus). Als Vollblutjournalist berichtet er natürlich für die Stuttgarter Zeitung auf einem blog über diese Reise. Und weil so ein Halbjahr verdammt kurz sein kann, muss es schnell gehen: in zwei Wochen 1100 km radeln, ein paar Kilometer schwimmen, Ruhetag auf Sylt und rechtzeitig zur Abifeier der Tochter wieder zu hause sein. Weil ich zur Zeit auch ganz gewaltig sabbate, hat Martin mich zum Mitfahren eingeladen. Ich habe allerdings noch weniger Zeit als der Zeitungsmann. Eine Woche konnte ich ihn begleiten.
Als Kontrollfreak habe ich die ganze Strecke am Rechner aufgemalt und auf Martins nagelneuen Tacho geladen. (Auf mein altes Navi passte nur ein kleiner Teil.) Eingedenk des Chaos bei der Altmühlerkundung habe ich diesmal sogar das Gepäck kartografiert:
Montag um 10 trafen wir uns am GiG. Ich hatte nur 2 km Anreise, Martin hatte 18.
Gerade noch rechtzeitig kam Volker vorbei, verabschiedete uns und wir rollten los, immer nach Norden. Für den größeren Teil der Reise konnten wir auf vorgefertigte Routen zurückgreifen, das erste Stück ließ ich vom Computer ausrechnen, was zu recht drolligen Ergebnissen führte. Wir hielten uns brav an den Track und fuhren mal auf schlammigen Waldwegen durch grünen Forst (wo wir einen verirrten Baggerfahrer verwirrten), mal auf vierspurigen Bundesstraßen mitten durch die Stadt. Der Regenguss von der Sorte „kurz und heftig“ erwischte uns im Wald. Wir kamen gar nicht so schnell in die Jacken, wie wir nass wurden – obwohl ich meine Jacke dank des Lageplans in Rekordzeit orten konnte.
Wenig später waren wir wieder trocken, wenn auch deftig eingesaut.
Kurz nach 6 Uhr abends erreichten wir Miltenberg und stiegen im Anker ab. Nach einem leckeren Essen im Riesen und dem obligatorischen EM-Kick ranzten wir die Nacht ungestört durch.
Auch Martin versuchte, Ordnung in seinem Gepäck zu halten:
An Elektronik hatten wir wirklich mehr als genug dabei, Martin sogar einen Laptop, dazu eine Kamera mit WLAN, deren Fotos er auf sein Telefon beamen und von dort auf den StZ-blog laden konnte. Zum Glück hatte Martin auch eine Dreifachsteckdose dabei, sonst hätten wir unser Sammelsurium über Nacht nicht geladen bekommen. Einzig die Fahrräder waren nicht elektrifiziert, auf diese Feststellung legen wir größten Wert!
Jeden Abend fanden wir eine interessante Unterkunft. Vor allem der Bach-Land-Hof in Binsförth hat es uns angetan, wo wir von drei Generationen der Familie Bickel herzlichst umsorgt wurden. Die Pension Trost hatte zwar kein Frühstück im Angebot, empfahl uns dafür das legendäre „Gederner Frühstück“ in der Bäckerei nebenan. Vom Hotel Kuhn in Beverungen habe ich leider keinen funktionierenden link, was daran liegen kann, dass dieses Hotel in einer Zeitblase ungefähr 1963 stecken geblieben ist 😉
Tagsüber radelten wir fleißig dahin und wurden, auch dank dem immer flacheren Landschaftsprofil, jeden Tag schneller. Wir lernten Interessantes wie Kurioses über Duden, Zuse, die Gebrüder Grimm, Baron Münchhausen, den Rattenfänger von Hameln und noch dies und das. Martin dokumentierte fleißig alles für seinen blog, teils unter erheblichem körperlichem Einsatz. Hier das „Making of“ seiner Fotos vom Gebrüder-Grimm-Denkmal in Hanau, von der Documenta-Hacke in Kassel und von einem anonymen Getreidefeld mit Kornblumen:
Insgeheim (und jetzt auch öffentlich) bin ich Martin ja dankbar für seine Bloggerei. Die Foto- und anschließenden Schreib- und Übertragungspausen kamen meinem Hintern ganz gelegen, und auch die Blutzufuhr zum Männerhirn kam wieder in Gang. Manchmal kriegte ich eine Pause nicht mit und fuhr weiter, dann durfte Martin hinterhersprinten. Jeden Tag mussten wir mindestens ein Mal die Regenjacken rausholen, aber nie für lange. Neben Martins blog posteten wir auch Bilder auf facebook. Aufgeschreckt von unqualifizierten Kommentaren achteten wir in der Folge stets auf einen fröhlichen Gesichtsausdruck. Hier eine Impression in Zusammenfassung:
Freitag abend kamen wir rechtzeitig bei Steffi und Marcus, zwei Eisschwimmkollegen, in Rinteln an. Herzlichen Dank noch Mal für Euere Gastfreundschaft, ich hoffe, wir können das bald mal erwidern! Martin fuhr am Samstag weiter zum Steinhuder Meer, das er am Sonntag mit Marcus durchschwamm, ich fuhr quer rüber nach Hannover und nahm den Zug zurück. Bei der Gelegenheit fiel mir auf, dass das Gepäck zur Not auch in zwei Taschen gepasst hätte – dann hätte ich aber einen 3D-Lageplan zeichnen müssen!
Die Reservierungspflicht für Räder im IC (einen Tag im Voraus) finde ich zwar grundsätzlich nervig, ab Hannover war sie aber durchaus sinnvoll. Offenbar wollen dort alle schneller weg, als sie radeln können.
Dafür will außer mir niemand nach Karlsruhe-Durlach; streng genommen nicht einmal ich, ich musste dort nur umsteigen.
Auch im Regionalexpress war ich mit meinem Rad alleine.
Noch ein Nachtrag zum Gepäck: Das Systemgewicht am Ende der Reise lag bei 110,3 kg (am Anfang eher weniger, weil noch alles sauber war). Von der Wäsche habe ich knapp die Hälfte benutzt, da ist noch Luft. Auch die drei Ersatzschläuche waren Unfug, ein Schlauch und Flickzeug hätten gereicht, zur Not hätten wir unterwegs nachkaufen können. Die Gels habe ich alle wieder mit heim gebracht, die Schokoriegel aus dem Supermarkt waren einfach leckerer.
Sicher ein grandioses Erlebnis. 🙂